Die Kellnerin – Hätte aus mir etwas Anderes werden können?

Irgendwann, wenn man fertig mit der Schule ist, ein Jahr im Ausland gelebt hat, seinen Studiengang daraufhin in Rekordgeschwindigkeit als allerbester der letzten Jahrzehnte beendet hat, kann man sich langsam trauen, sich über weitere Zukunftspläne Gedanken zumachen.

Das ist es, was die meisten von uns in die Wiege gelegt bekommen haben. Das Denken, das für uns logisch oder gar selbstverständlich geworden ist. Wenn es nach meiner Schulbildung, meinen privaten Klavierunterrichtsstunden und meinen sorgsamen Eltern geht, wäre ich jetzt Musiklehrerin. Nicht weil sie von mir profitieren wollen, sondern weil sie wollen, dass ihre Kinder ein sorgenfreieres Leben führen, als sie es vielleicht führen mussten.

Zu ihrer Zeit gab es nämlich nicht so viele Auswahlmöglichkeiten mit denen unsere Generation schon fast überfordert zu sein scheint. Der Plan meiner Eltern war, dass ich so wenig wie möglich in meinem Berufsalltag tue und dabei so viel wie möglich verdiene. Wenn wir ehrlich sind, strebt doch jeder ach so leidenschaftliche Student, Arbeitnehmer oder generell jeder Mensch in unserer Gesellschaft danach.

Was ist aber wenn ich eigentlich gar keine Lust darauf habe? Ich weiß zum Beispiel, dass dieses Modell nicht zu mir passt. Geld verdienen muss ich aber trotzdem – am besten ohne mich kaputt zu machen. Am schnellsten und am einfachsten? Im Gastgewerbe. Als Kellnerin. Überall an jeder Ecke wird nach Kellnern gesucht. Viel können muss man dafür auch nicht, soweit ich weiß.

Was ist aber wenn diese ,,Notlösung zum Geld verdienen’’ mich so erfüllt, dass ich eigentlich gar nichts anderes mehr machen will? So anspruchslos und verwerflich wie ich erst dachte, ist dieser Beruf nämlich gar nicht:

Mal ganz im Ernst…

wer will eine Arbeit ausüben, bei der man nie genau weiß wann man Feierabend hat? Bei der Kleinigkeiten, die vorher gang und gäbe waren, wie zum Beispiel einen Kaffee während der Arbeitszeit zu trinken, nicht mehr so einfach sind. Klar, kann man sich einen Kaffee machen, mit Milch und Zucker sogar, umrühren ist auch noch drin. Den Kaffee trinken? Wird leider nichts, weil die nächsten Gäste schon Schlange stehen – natürlich unter enormem Zeitdruck.

Wenn man dann, völlig gestresst und angespannt wie ein unerzogenes Kind an Weihnachten, etwas umwirft (unter anderem den vergessenen Kaffee) erinnert man sich daran, mal einen für sich selber gemacht zu haben.


Nach gefühlt 47 Stunden nimmt man sich als Raucher natürlich auch mal die Zeit eine zu rauchen. Was fällt einem dabei auf? Ach ja, für kleine Mädchen muss man auch schon seit heute morgen. Wofür entscheidet man sich da? Natürlich für zwei kurze Züge von der Zigarette. Die man dann total hektisch ausdrückt, um noch schnell zur Toilette zu rennen. Auf dem Weg dahin kommt einem wieder was Unumgängliches in die Quere und der Zug mit ,,Blase-leeren’’ ist somit abgefahren.

Nebenbei klingelt nicht nur die Küche sondern auch das Betriebstelefon und das Private Handy. Nachrichten die man liest, aber nicht beantworten kann, obwohl die beste Freundin und die Eltern sauer sind, weil man versprochen hat, anzurufen. Wann? Wenn man nicht einmal die Zeit dazu hat, zu essen, obwohl der Magen schon mit lauten Geräuschen eine Symphonie komponiert hat.
 

Unter so einem Stress noch ein müheloses Lächeln über die Lippen zu bringen und nett zu bleiben, ist doch etwas sehr Bemerkenswertes.

Ein ganz normaler Sonntagmittag.

Man munkelt, dass man als Gastronom mal frei hat. Selbstverständlich nicht an Wochenenden, Feiertagen oder in der Ferienzeit. Zu dieser Zeit ist mit Abstand am meisten los. Das letzte Mal auf einer Familienfeier oder auf einem Geburtstag war ich mit 15. Hätte ich doch besser auf alle gehört (vor allem auf meine Eltern) und wäre studieren gegangen. Eine geregelte 5-Tage-Woche, mit heißem Kaffee, Zigaretten, die man zu Ende rauchen kann und sogar einer Mittagspause. An Wochenenden und Feiertagen immer frei.

Kellnern kann man nicht studieren

Ich glaube, ich bleibe immer Kellner. Diesen Beruf kann man nicht so einfach studieren. Diesen Beruf muss man leben, und sich über jeden (gestressten) Gast freuen. Wenn dieser dann zufrieden und satt das Lokal verlässt, ist man selber auch zufrieden.

Eigentlich war es mein Plan, über die Vorzüge des Kellnerlebens zu schreiben.
Wirklich erklären kann ich es aber nicht, man muss es einfach leben. Zeit darüber nachzudenken hab ich aber auch nicht, weil es gerade wieder in der Küche klingelt!
Sorry, liebe Eltern – aber ich bin zufrieden mit meiner Berufswahl und meinen tollen Gästen und Arbeitskollegen. 

Autor: Nicole Rieb